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Pressebericht: BADISCHE ZEITUNG

Landesumschau Nr. 97 / 7
Donnerstag, 27. April 1995

Ein Waldshuter Ausmusterungsberater unterstützt junge Männer, die nicht zur Bundeswehr wollen

Mit Zickenrotts Hilfe werden Rekruten wehruntauglich

Verfasser
Benno Stiebel


FREIBURG. Mit seiner Einberufung kamen bei Tom die Depressionen. Kurz bevor er in die Kaserne einrücken sollte, verschwand er. Die Feldjäger, die ihn einziehen sollten, konnten den Rekruten nicht finden. Als Tom Wochen später wieder auftauchte, war er mit Tabletten und Alkohol vollgepumpt. Im Krankenhaus wurde er gerettet, für den Bund war der Selbstmordkandidat nicht mehr zu gebrauchen. Tom wurde ausgemustert.
   Eine tragische Geschichte mit glücklichen Ausgang? Nein, Toms Selbstmordversuch war nur vorgetäuscht, und als er feststellte, daß ihm trotz der Ausmusterung weiter der volle Sold überwiesen wurde, waren auch seine Depressionen verflogen. Was Tom mit dem Suizid-Trick erreicht hat, schaffte Hans, indem er vor der Kaserne betrunken randalierte, und Detlef, indem er seinen angeblichen homoerotischen Neigungen freien Lauf ließ. Sie zeigen, wießs geht. Tom, Hans und Detlef sind die Hauptfiguren in Peter Zickenrotts Antiwehrdienst-Report. Wer weder uniformiert noch Zivildienst leisten will, ist bei dem professionellen "Ausmusterungsberater" (Eigenwerbung) richtig.
   In dem etwa acht Quadratmeter kleinen Büro in seinem Waldshuter Wohnhaus stapeln sich die engbedruckten Blätter seines 26seitigen Werks. Im Antiwehrdienst-Report ist alles über Krankheiten und psychische Verformungen zu erfahren, die selbst den gesündesten Rekruten wehruntauglich machen. "Es gibt in Deutschland kein größeres Wissen über Ausmusterung", sagt der Autor selbstbewußt. Um das zusammenzutragen, hat er über Jahre recherchiert, sogar Kontakte zu aktiven Stabsärzten der Bundeswehr geknüpft. Mit Erfolg. Interne Dokumente wie die neuen Musterungsrichtlinien erhält er sogar früher als die Kreiswehrersatzämter.
   Die Dienstleistung des ebenso findigen wie windigen Unternehmers ist umfasssend. Für 550 Mark betreut er seine Kunden von der ersten Musterung bis zur endgültigen Untauglichkeit. Er formuliert Anträge und Einsprüche und empfiehlt geeignete Anwälte. Wenn noch ein Attest fehlt, vermittelt er gern einen Arzt, der für Bettnässen und andere Schwächen besonders viel Verständnis hat.
   Die Geschichten von Tom und den anderen sollen niemand anstiften, irgend etwas vorzutäuschen, betont der Berater der Dienstunwilligen. Er weiß, warum. Ohne solche juristischen Spitzfindigkeiten könnte er Probleme mit der Staatsmacht bekommen. Das Verteidigungsministerium in Bonn

mustert Zickenrotts Gewerbe ohnehin argwöhnisch. Auch wenn man die Wirksamkeit seiner Beratungstätigkeit dort herunterspielt. Von den 8000 potentiellen Soldaten, die er in den fünf Jahren seiner Tätigkeit vor der starken Truppe bewahrt haben will, seien sicher etliche tatsächlich untauglich gewesen, schätzt ein Sprecher der Hardthöhe: "Zickenrott bewegt sich hart an der Grenze zur Illegalität, und das weiß er auch." Das stellte auch die Staatsanwaltschaft fest. 1991 ermittelte sie wegen "Wehrdienstentziehung durch Täuschung". Dank Zickenrotts Geschick erfolglos.
   Simulieren sei auch gar nicht notwendig, weiß der Ausmusterungsspezialist, denn jeder habe Symptome, die ihn untauglich machen könnten. Tatsächlich: Wer die ersten Seiten des Reports gelesen hat, wird sich seiner Gebrechen erst richtig bewußt. Wer hat nicht hin und wieder Schmerzen im Genick, schläft manchmal schlecht und verspürt gelegentlich Lustlosigkeit. Für Zickenrott ist das schon genug: Richtig dargestellt, macht er aus solchen Zipperlein im Handumdrehen "Depressionen mit Suizidgefahr". Ansonsten wird er meistens in der Kindheit seiner Patienten fündig. Scheidung der Eltern oder Alkoholismus in der Familie, daraus lasssen sich prima Ängste und Psychosen ableiten.
   Die Kunden kommen aus dem gesamten Bundesgebiet. Die Wand seines Büros ist mit Dankesbriefen tapeziert. Diese belobigungen seien seine Bestätigung. Und das Honorar, das jeder potentielle Rekrut für Zickenrotts Dienste bezahlen muß. Davon kann er inzwischen so gut leben, daß er sich Träume wie das Motorboot auf dem Rhein erfüllen kann.
   Doch nicht allein das Geld sei seine Motivation. Die passende Weltsicht soll seine Tätigkeit moralisch unterfüttern. Zwischen Anarchie und Sozialdarwinismus polemisiert er gegen "dieses Solidaritätsgeschwätz", das nur als Rechtfertigung diene, dem Bürger "jeden Furz vorzuschreiben". Die Bundeswehr hält er für eine "Manipulationsmaschine". "Keiner hat das Recht, über fremde Menschenleben zu verfügen", sagte er mit der Attitüde des Weltverbesserers. Dabei ist er nur der Individualist, der das Maß an Freiheit daran bemißt, ob er mit seinem Motorboot immer und überall fahren darf. Als "Freidenker" und "Pazifist" sieht er sich selbst. Auch wenn er in nachdenklichen Momenten zugibt, daß es, ohne Bundeswehr "natürlich nicht geht". Wen sollte Zickenrott dann auch beraten?

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