Kontakt

Pressebericht: Focus online

Focus 39/1993

WEHRDIENSTVERWEIGERER

Bettnässer bevorzugt

Ein professioneller Simulanten-Berater brachte die Bundeswehr bereits um 6000 Mann

Verfasser
KAYHAN ÖZGENC, Focus Online

Das Persönlichkeitsprofil seines Idealkunden skizziert Peter Zickenrott so: "rote Haare, Bettnässer. Vollwaise und tablettenabhängig" . Derart vom Schicksal geschlagene Klienten sind der Traum des 32jährigen Waldshuter Simulanten-Beraters. In seiner täglichen Praxis gibt er sich auch mit weitaus weniger zufrieden. Sein Geschäft ist es, jungen Männern den Wehrdienst zu ersparen. "Denn der Bund", so Zickenrott, "macht alle kaputt" Sechstausend potentielle Vaterlandsverteidiger, etwa eine halbe Division, haben sich angeblich bereits mit seiner Hilfe um die lästige Pflicht herumgemogelt. "Bisher habe ich noch jeden herausgeholt". brüstet sich der Retter.

   Zickenrott wirbt für seinen Service landauf, landab in Anzeigenblättern. Interessierte Drückeberger erhalten einen selbstverfaßten "Anti-Wehrdienst-Report" sowie persönliche Beratung per Telefon. Dabei erfahren die Dienstunwilligen, mit welchen Simulanten-Stückchen sie bei den Bundeswehrärzten den größten Eindruck schinden. "Ich bringe die Leute nur auf die notwendigen Gedanken" , sagt Zickenrott. "Schließlich haben doch fast alle Männer irgend wo Komplexe." Abstehende Ohren, ein kleines Glied oder Pickel genügen oft schon als Vorwand für eine Neuro-Nummer bei der Musterung. Denn wegen dieser "körperlichen Mängel", so jammern die Kandidaten nach Zickenrotts Anweisung, seien sie in ihrer "schrecklichen Schulzeit gemeinen Hänseleien ausgesetzt, ja sogar in Selbstmordversuche getrieben worden".

   So schwer Geschädigten bleibt die Bundeswehr natürlich erspart. Aber auch jenen, die bereits Oliv tragen und wieder zurück ins zivile Leben möchten, öffnet Zickenrott trickreich die Kasernentore. In diesen Fällen, empfiehlt er sein rasch wirkendes "Tabletten-Drama". Und das geht so:

   Ein Soldat erzählt einem Kameraden, er habe psychische Probleme. Wenig später wird der Leidende "bewußtlos" aufgefunden. Neben ihm eine leere Packung Schlaftabletten. Das reicht. "Innerhalb von zwei Tagen ist der aus der Bundeswehr raus", garantiert der Verweigerungsberater.

   Wenn's nicht ganz so eilt, führen auch gut gespielte homosexuelle Szenen oder systematisch genährter Suchtverdacht (Klebstoffschnüffeln) zur Entlassung. Bei Wehrpflichtigen vergehen in solchen Fällen bis zur Ausmusterung drei bis vier Wochen. Zeitsoldaten müssen sich allerdings bis zu einem Jahr gedulden. Der Soldatenklau aus dem Schwarzwald ist im Bonner Verteidigungsministerium wohlbekannt, doch man müht sich, seine Bedeutung herunterzuspielen. Sprecher Jörg Jost Schattenberg glaubt: "Die Aktivitäten des Herrn Zickenrott führen nicht zu mehr Ausfällen, sondern nur zu einem erhöhten Arbeitsanfall im Musterungsärztlichen Dienst". Vermutlich weiß die Bundeswehr gar nicht, wieviele ihrer erfolgreichen Simulanten von Zickenrott präpariert worden sind.

Kein Zweifel, daß sein subversives Treiben dem Bund weh tut. Trotz der vorgesehenen Verminderung der Truppenstärke auf 370 000 Mann gibt es viel zuwenig Rekruten. Und das, obwohl die früher übliche großzügige Rückstellungspraxis längst gestoppt und die Tauglichkeitsanforderung deutlich gesenkt wurden. Schattenberg: "Wegen Rückenschmerzen oder einem kaputten Knie mustern wir heute keinen mehr aus." Zudem ist die Zahl der Verweigerer noch immer bedenklich hoch. Im vergangenen Jahr sagten 133 868 Wehrpflichtige aus Gewissensgründen dem Verteidigungsminister ab. Was allerdings nicht heißt, daß die nun alle freudig zum Nachttopfleeren in Krankenhäusern oder Altenheimen zur Verfügung stünden. Viele spekulieren auf die Chance, wegen fehlender Zivildienstplätze nicht einberufen zu werden. Falls das Los sie dennoch treffen sollte, steht auch ihnen der versierte Peter Zickenrott mit gutem Rat zur Seite.

   Der Militärdienstgegner engagiert sich zunehmend auch für Zivildienstverweigerer. Grund: Ein Drittel seiner Kundschaft sind Totalverweigerer, die zwar schon aus der Bundeswehr raus, dafür aber nun im zivilen Ersatzdienst gelandet sind. Aber auch da wollen sie nun weg. Zickenrott zeigt Verständnis: Die Zivis werden vom Staat mit Sklavenlöhnen ausgebeutet und unterliegen anschließend der Zivildienst-Überwachung. Das heißt: Wenn mal ein Spannungsfall eintritt, kann man sich nicht einfach in den Flieger setzen und auf den Seychellen abwarten, bis alles vorbei ist." Mit solchem Demokratieverständnis macht sich der Verweigerungsberater nicht nur Freunde.

   "Vaterlandsverräter", "anarchistische Drecksau", schimpfen anonyme Anrufer. Peter Zickenrott kümmert's nicht. Der gelernte Heizungsmonteur und spätere Auto-Tuner hatte sich seiner eigenen Einberufung mit dem Hinweis auf "Angstzustände und Alpträume" entzogen, danach half er Freunden, dem Joch der Bundeswehr zu entkommen". Seit dreieinhalb Jahren macht er es nun professionell.

   Ein blendendes Geschäft: Über den " Zickenrott-Hot-lnfo-Service" kommen monatlich rund 200 Bestellungen für die Drückeberger-Fibel "Anti-Wehr; dienst - Report". Den Preis, bislang 220 Mark, will Zickenrott bei der bevorstehenden erweiterten Neuauflage auf satte 550 Mark liften. Dann bleibt dem Junggesellen noch mehr übrig für seine Leidenschaften: schnelle Autos, Rennboote, Immobilien. Der Spezialservice boomt, auch wenn's gelegentlich Pannen gibt: Einem wehrunwilligen Antialkoholiker aus Darmstadt hatte Zickenrott geraten, vor der Musterung ausnahmsweise zwei Halbe Bier zu trinken. Statt dessen säuft der Trottel zehn, schüttet noch eine halbe Flasche Gin und Schlaftabletten hinterher. Anschließend machte mir seine Frau die Hölle heiß, weil er eine Woche im Krankenhaus lag."

   So toll es Zickenrott auch treiben mag - der liberale Rechtsstaat kommt Leuten wie ihm nicht bei. Vor drei Jahren hatte die Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen bereits gegen ihn ermittelt, das Verfahren jedoch wegen Aussichtslosigkeit nach drei Wochen wieder eingestellt. Seitdem weiß Zickenrott immerhin, wie Juristen das nennen, was er tut. "Anstiftung zu Wehrdienstentziehung durch Täuschung".


Quelle: Original-Beitrag auf Focus.de

Kostenfreier Rückruf-Service

  Ihre Daten werden selbstverständlich nicht an Dritte weitergegeben.