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Pressebericht: DER TAGESSPIEGEL

09. August 2001

Ausmusterungsberater

Wehrübung - Peter Zickenrott berät junge Männer für eine erfolgreiche Ausmusterung

Verfasser
Jan-Martin Wiarda


Wenn Peter Zickenrott an die Zukunft denkt, bekommt er Angst. Große Angst. Vor implantierten Kennkarten, computergesteuerter Totalüberwachung und der Verfolgung aller, die sich dem System widersetzen. "Die Anzeichen sind doch unübersehbar", sagt Zickenrott. "Die Manipulationsmaschinerie läuft auf Hochtouren."

   Der Mann hat eine Mission: In der Bundeswehr, glaubt er, nimmt die Manipulation ihren Anfang, deshalb will er dem System möglichst viele junge Männer entziehen. Er hilft Wehrpflichtigen, die um jeglichen Dienst herumkommen wollen. "Ausmusterungsberater" nennt Zickenrott das. Tausende junger Männer hat er in den vergangenen Jahren beraten. Bundeswehr und Staatsanwaltschaft nennen seine Tätigkeit deshalb "Beihilfe zur Wehrpflichtentziehung". Und gehen auch gerichtlich gegen Zickenrott vor: Denn wenn man sich so einfach um den Wehrdienst drücken könnte, würde das Gegnern der Wehrpflicht ein entscheidendes Argument liefern. Mangelnde Wehrgerechtigkeit ließe die Bundeswehr gerade jetzt in keinem guten Licht erscheinen, wo der saarländische SPD-Landeschef Heiko Maas die Debatte um die Abschaffung der Wehrpflicht wieder eröffnet hat.

   Das Schwarzwaldstädtchen Waldshut, in dem der 40-Jährige seit seiner Kindheit lebt, macht nicht den Eindruck, als stünde Widerstand gegen die Obrigkeit auf der Tagesordnung: die Gassen verwinkelt, die Bürgerhäuser gedrungen, die Stadttore trutzig. "Ich würde nie in der Großstadt wohnen", sagt Peter Zickenrott bei Sauerkraut und Kassler und blickt auf die Baumwipfel. "In der Großstadt rennen die Menschen ins Fitnessstudio und trainieren für den Waschbrettbauch. Das ist der Ersatz für ein Leben, das das System ihnen genommen hat."

   In seinem 50-seitigen "Anti-Wehrdienst-Report" hat Zickenrott die besten Tricks gesammelt, die zur Ausmusterung führen. Unter der Überschrift "Wie fallen Kranke (bei der Bundeswehr) auf?" steht da zum Beispiel: "Sofortiger Arztbesuch nach Dienstantritt, im weiteren Verlauf mindestens einmal täglich." Oder der Ratschlag für Muttersöhnchen: "Dienstantritt zusammen mit Mutter, die du vorher mit Handschellen an dich gekettet hast." Hört sich alles recht lustig an. Ist aber ernst gemeint. "Ich kriege jeden raus", sagt Zickenrott in seinem holzgetäfelten Wohnzimmer, während er die Post durchsieht. Er lächelt.

   Das Lachen ist Birgit Loga vom Verteidigungsministerium vergangen. Hört sie den Namen "Zickenrott", ist es erstmal still in der Telefonleitung. "Ich werde mich dazu nicht äußern", sagt die Sprecherin, um es am Ende doch zu tun. Was haben sie nicht schon alles versucht. Doch die Klagen wegen Beihilfe zur Wehrpflichtentziehung und Anstiftung zur Täuschung sind gescheitert oder stecken auf dem Instanzenweg fest. Derzeit versuchen sie, Zickenrott wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz in 170 Fällen dranzukriegen.

Er maße sich die Rolle eines Rechtsbeistands an, dabei ist er nur Heizungsmonteur. Mehr als dieser juristische Winkelzug ist wohl nicht drin. Denn Zickenrott hat vorgesorgt. So hat er die oben erwähnten Tricks mit einem Kommentar versehen: Die Liste sei keine Anleitung; sie stelle "lediglich eine Aufzählung von Verhaltensweisen dar, wie sie mir von verschiedenen Betroffenen berichtet wurden."

   Den ganzen Tag über läutet bei Zickenrott das Telefon, und er berät seine Kunden, wie sie bei der Musterung ihre endogene Depression an den Mann bringen können. Angst, sagt er, sei das beste Argument für die Ausmusterung. Zickenrott weiß, wovon er spricht. Denn er wurde selbst wegen Angstzuständen ausgemustert: 1979 war das, während der Afghanistankrise; er dachte, der Dritte Weltkrieg breche aus. Zickenrott hat schon sein Leben lang Angst. Angst, etwa mit dem Flugzeug abzustürzen. In seinem Arbeitszimmer hat er sich vor seinem letzten Urlaub einen Zettel an die Wand geheftet: Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Flug zwischen Deutschland und den USA ums Leben zu kommen, betrage, statistisch gesehen, 1 zu 77 867. "Das gibt mir Sicherheit", sagt er.

   In einer Welt, in der Waschbrettbauch und Porschefahren die größte Lebensfreude versprächen, bekomme doch jeder einen psychischen Knacks, sagt Zickenrott: "Dieses System nimmt aber die Fähigkeit, ihn wahrzunehmen." Zickenrott hilft bei der Selbsterkenntnis. Simulieren hat da keiner mehr nötig. Eine Logik, gegen die kein Staatsanwalt ankommt. Birgit Logas Stimme am Telefon klingt, als sei sie deswegen persönlich beleidigt. "Man muss trotzdem fragen, ob Herrn Zickenrotts Wirken nicht gegen die guten Sitten verstößt", sagt sie. Aber Zickenrott kämpft weiter: selbstlos, sagt er, und ohne Rücksicht auf sein Wohlbefinden.

   Das klingt nach einer schönen Geschichte. Leider hat sie einen Haken. Denn der Ausmusterungsberater stellt 550 Mark in Rechnung für jede Beratung. Mit genauen Schätzungen über die Zahl seiner Kunden hält Zickenrott sich zurück, seit er die Steuerfahnder am Hals hatte. Auf seiner Internet-Seite ist von 12 500 Fällen die Rede. "Das meiste Geld geht ohnehin für die Anwälte drauf", sagt er. Fragwürdig ist zudem, dass er auch Zivildienstleistenden die Ausmusterung ermöglicht.

   Aber seine Motive sind zweitrangig, solange das Geschäft läuft und er der Bundeswehr Ärger macht. Doch wie lange noch? Die Forderungen nach Abschaffung der Wehrpflicht werden ja auch innerhalb der SPD lauter. Es ist schon eine seltsame Situation: Zickenrott, der selbst ernannte Ausmusterungsberater, lebt vom Bestand der Wehrpflicht. Dennoch wäre es ihm lieber, sie würde abgeschafft. Einer wie er würde sicher was anderes finden. Der Kampf gegen das System ist schließlich nie zu Ende.

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