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Pressebericht: Süddeutsche Zeitung

Vermischtes Nr. 151 Seite 16
Dienstag, 4. Juli 2000

Der Trick mit dem Bettnässen

Ein Ausmusterungsberater hat die Bundeswehr in zehn Jahren angeblich um tausende Soldaten gebracht

Verfasser
Can Merey


München - Ganze Bataillone junger Männer haben nie die Waffe oder das Marschgepäck geschultert, haben weder als Soldaten noch als Zivis gedient: Jedes Jahr werden etwa 20 Prozent der Wehrpflichtigen ausgemustert, weil sie wegen körperlicher oder seelischer Gebrechen dienstuntauglich sind. Tausende von ihnen drückten sich in der Vergangenheit jedoch vor der mühseligen Pflicht: mit der Hilfe von Peter Zickenrott, der als "Ausmusterungsberater" einen nach eigenen Angaben in Deutschland einzigartigen Service anbietet. Zickenrott arbeitet so zwar immer am Rande der Legalität, aber mit hundert Prozent Erfolgsquote, wie der 40-Jährige sagt.
   Anders als Wehrdienst- oder Totalverweigerer, die sich gratis etwa von der Deutschen Friedensgestellschaft beraten lassen können, müssen Ausgemusterte weder Erstatzdienst noch Freiheitsstrafe fürchten. Die Kunden bekommen "beliebig viele Beratungsgespräche bis zum Erfolg" und einen knapp 100 Seiten starken "Anti-Wehrdienst-Report". Darin wird erklärt, "wie Sie auch sehr skeptische Ärzte davon überzeugen, dass Sie für die Bundeswehr oder Zivildienst viel zu krank sind". Der Text erläutert die "klassischen Methoden wie Bettnässen", aber auch "Psychotricks, die immer zur Ausmusterung führen": Verhaltensmuster etwa von Depressiven werden facettenreich geschildert, auch die provozierte Einweisung in eine Psychiatrie "macht sich nicht schlecht in der Ausmusterungskarriere". Selbst wer schon einberufen sei, könne problemlos die "sofortige Entlassung" aus der Truppe erreichen. So führe etwa die Ankündigung eines Suizids stets zum gewünschten Erfolg. Seinen Kunden bietet der frühere Heizungsmonteur und Einzelhandelskaufmann außerdem Zugang zu einer umfangreichen Kartei. In ihr sind Ärzte und Rechtsanwälte gespeichert, "die der Ausmusterung positiv gegenüber stehen", wie Zickenrott vorsichtig formuliert.
   Der Service kostet 550 Mark - gut investiertes Geld, argumentiert der Berater, der 1979 selbst für untauglich erklärt wurde. Schließlich sei es innerhalb kurzer Zeit wieder verdient, wenn man statt des Wehrdienstes seinem Beruf nachgehe.
   Im Berliner Bundesverteitigungsministerium kennt man das umstrittene Angebot, für das Zickenrott inzwischen auch im Internet wirbt (http://www.ausmusterung.com). Die

Bundeswehr habe früher bereits Anzeigen erstattet, sagt ein Sprecher. Zickenrotts Büro im badischen Waldshut wurde schon häufig durchsucht, die Staatsanwaltschaft ermittelt bereits seit Jahren. Zwei Verfahren wegen "Anstiftung zur Wehrdienstentziehung durch Täuschung" sind noch in der Schwebe, zwei wurden schon eingestellt: Die Strafverfolger hätten den Tatbestand nicht als erfüllt angesehen, berichtet Zickenrott. Schon wegen dauernder Rechtsstreitkosten mache ihn der Job nicht reich, sagt der Berater, dessen Dienstleistung allerdings nicht nur dem Staatsanwalt, sondern auch "manchem korrekten Staatsbürger die Zornesröte ins Gesicht treibt." Während die ausgemusterte Kundschaft Zickenrott mit Dankesbriefen beglückt, quittieren andere das Angebot mit anonymen Morddrohungen und Beschimpfungen.
   Brisante Informationen über den Musterungsapperat bekommt der Berater von Stellen, bei denen man kaum Sympathie für den Pazifisten vermuten würde: Gute Kontakte etwa zu Quellen im Verteidigungsministerium hätten bewirkt, dass er die 1995 geänderten internen Musterungsrichtlinien damals "noch vor den Kreiswehrersatzämtern" auf dem Schreibtisch gehabt hätte. Informanten bei den Stabsärzten hielten ihn über Veränderungen "stets auf dem Laufenden".
   Inzwischen hat sich der Erfolg der Zickenrottschen Methode auch über Wehrpflichtigkreise hinaus herumgesprochen. Einmal, erzählt der Berater, habe ihm ein hoher Staatsdiener sogar "viel Geld geboten, um endgültig aus dem Laden herauszukommen." Der Mann kannte Zickenrotts Service gut: Er arbeitete im Kreiswehrersatzamt.

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